Migration steuern – (potentielle) Migranten ausbilden

Beispiel „Partnerschaft EU-Afrika“

Wenn man dieser Tage von ‚Migration‘ spricht, hört man oft die Plattitüde, dass Europa und seine Mitgliedstaaten vor komplexen Herausforderungen stehen. Dabei bleibt meist unerwähnt, dass es um die Schicksale hunderttausender Menschen geht. Den Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) und des Amts für internationale Migration (IOM) zufolge waren noch nie so viele Menschen unterwegs: Derzeit gibt es 244 Millionen internationale Migranten. 2015 haben weltweit 65,3 Millionen Menschen aufgrund von Konflikten, Menschenrechtsverletzungen, wirtschaftlicher Not und Naturkatastrophen ihre Heimat verlassen (United Nations 2016).

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Obwohl die Zahl der tragischen Todesfälle auf See während der Sommermonate 2017 zurückgegangen ist und sich die Zahl der Migranten, die den Weg über die zentrale Mittelmeerroute wählten, deutlich verringert hat, ist die Lage weiterhin angespannt, zumal am 27. September das EU-Umverteilungsprogramm für Flüchtlinge ausgelaufen ist. Nicht zuletzt deshalb hat Kommissionspräsident Juncker jüngst in seiner Rede zur Lage der Union das Thema „Migration“ zur „Chefsache“ erklärt und neben den Erfolgen auch die Schwächen der EU-Migrationspolitik angesprochen. So konnte zwar die Zahl der Geflüchteten, die über das östliche Mittelmeer kamen, dank des Türkei-Abkommens um 97 % gesenkt werden, doch seien die Lebensumstände der Flüchtlinge in Libyens Auffang- oder Aufnahmelager skandalös. Hier müsse Europa rasch handeln (Europäische Kommission 2017c).

Umverteilung: Solidarität sieht anders aus

Doch wird das rasche Handeln durch die nationalen Egoismen in den EU-Mitgliedstaaten blockiert. So hatten sich die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten zwar darauf geeinigt, 160. 000 Flüchtlinge, die in Italien und Griechenland angekommen waren, in andere EU-Länder umzuverteilen, doch wurden bis Anfang September 2017 insgesamt nur rund 30.000 Personen umverteilt. Es ist in der Tat bedenklich, dass innerhalb von zwei Jahren nicht einmal ein Fünftel der Flüchtlinge tatsächlich umgesiedelt wurden. Die Tschechische Republik, Ungarn und Polen verstoßen weiterhin gegen ihre rechtlichen Verpflichtungen, da bislang keine einzige Person nach Ungarn oder Polen umverteilt wurde und die Tschechische Republik seit über einem Jahr keine Umverteilungsplätze zugesagt hat.
Griechenland und Italien können die Aufnahme von Asylsuchenden nicht alleine bewältigen. Deshalb ist es wichtig, dass die jetzige Umverteilung solange weiterläuft bis mit der neuen Dublin-Verordnung ein permanentes solidarisches Verteilungssystem vorliegt. Es wäre notwendig, dass die Kommission bis zum Inkrafttreten der neuen Dublin-Verordnung ein Nachfolge-Programm zur Umverteilung vorlegt, das für alle Mitgliedstaaten verbindlich ist und auch die Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten, die die Umverteilung boykottieren, mit aller Konsequenz fortführen.
Trotz des Umverteilungsdilemmas haben die EU-28 (-1) als Ganzes durchaus Solidarität gezeigt. Allein im vergangenen Jahr haben die Mitgliedstaaten mehr als 720 000 Flüchtlingen Asyl gewährt oder sie neu angesiedelt – drei Mal mehr als die Vereinigten Staaten, Kanada und Australien zusammen.
Solidarität sollte allerdings nicht nur als innereuropäische Angelegenheit verstanden werden, sondern es geht auch um mehr Solidarität mit den Herkunftsländern, und zwar um Afrika. Der 2,7 Milliarden Euro schwere EU-Treuhandfonds für Afrika ist vor allem dazu eingerichtet worden, um vor Ort Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen bzw. Fluchtursachen zu bekämpfen. Doch auch hier fehlt es an Solidarität. Während der Großteil des Geldes aus dem EU-Haushalt stammt, haben die EU-Mitgliedstaaten zusammen nur 150 Millionen Euro beigesteuert. Dies ist der Grund dafür, dass der Fonds momentan an seine Grenzen stößt (Dialer 2017).

Partnerschaften mit den Herkunfts- und Transitländern in Afrika

Auch wenn Afrika und seine Interessen in Europa noch zu selten mitgedacht und berücksichtigt werden, kommt der Migrationspartnerschaft eine immer wichtigere Rolle zu. Außerdem ist Europa ein alternder Kontinent: Afrika mag zwar „arm“ sein, aber ist es reich an jungen Menschen. Die gute Nachricht: Aus dem Anfang September 2017 von der Kommission vorgelegten fünften Fortschrittsbericht über den Migrationspartnerschaftsrahmen geht hervor, dass die Maßnahmen zur besseren Steuerung der Migration über die zentrale Mittelmeerroute und die Zusammenarbeit mit Partnern in Afrika bereits erste Früchte tragen (Europäische Kommission 2017a).

In Kooperation mit dem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) wurden im Hinblick auf die gesamte zentrale Mittelmeerroute spezifische Schutz- und Hilfsprogramme für Migranten – z. B. in den Bereichen medizinische Grundversorgung und Zugang zu Dokumenten – sowie Programme für die freiwillige Rückkehr bzw. die Wiedereingliederung von Rückkehrern eingerichtet.

Im Kontext des Partnerschaftsrahmens liegt der Fokus auf fünf afrikanischen Schwerpunktländern (Niger, Mali, Nigeria, Senegal und Äthiopien). Bislang wurden im Rahmen des EU-Treuhandfonds für Afrika, in den nun auch Guinea, Côte d’Ivoire und Ghana einbezogen sind, 169 Verträge im Gesamtwert von über 1,2 Milliarden EUR unterzeichnet. Die eingeleiteten Projekte sollen beispielsweise die Schaffung von Arbeitsplätzen und grundlegende soziale Dienste für die lokale Bevölkerung fördern. Die EU erhofft sich davon in erster Linie einen Rückgang der Migration. Doch diese lässt sich eben nicht kurzfristig durch mehr Wohlstand erreichen. Dies dauert Generationen und ist in den oben genannten Schwerpunktländern frühestens zwischen 2080 und 2100 zu erwarten (Europäische Kommission 2017a).

Zur Erhöhung der Sicherheit werden die in der Region laufenden Missionen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU gestärkt und ihr Geltungsbereich wird regionalisiert. Mit 50 Millionen EUR ist die EU zudem der größte Geldgeber der gemeinsamen Einsatztruppe der G5 der Sahelzone, die eingerichtet wurde, um die Grenzsicherheit in der Region zu verbessern und den Menschenhandel verstärkt zu bekämpfen.

Die Maßnahmen entlang der zentralen Mittelmeerroute wurden weiter intensiviert, wobei die Such- und Rettungsmaßnahmen auf See, die Zusammenarbeit mit den Nachbarn Libyens und die Maßnahmen in Bezug auf die freiwillige Rückkehr fortgesetzt wurden. Im Zuge des Aktionsplans zur Unterstützung Italiens vom 4. Juli 2017 wurde ein mit 46,3 Millionen EUR ausgestattetes Projekt im Rahmen des EU-Treuhandfonds für Afrika genehmigt, das die Kapazitäten der libyschen Behörden in den Bereichen Grenz- und Migrationsmanagement stärken soll.

Kluge (Macht)politik! Europa muss vorausschauend handeln

Die entscheidenden Grundlagen der Macht auf der weltpolitischen Bühne bilden, wie Ernst-Otto Czempiel (2002) in seinen Überlegungen zur „Klugen Macht“ des 21. Jahrhunderts überzeugend zeigte, Information, Wissen und die Fähigkeit, Kooperation zu organisieren. Der Export von global wirksamen Ideen, Orientierungen und Leitbildern ist daher ein wesentlicher internationaler Machtfaktor der Europäischen Union. Setzt man eine wertorientierte Migrationspolitik Europas voraus, die eine Normenübertragung auf die afrikanischen Staaten anstrebt, so müssten auch die Normen und Leitbilder der europäischen Migrations- und Afrikapolitik überdacht werden.

Der bevorstehende fünfte EU-Afrika-Gipfel 29./30. November 2017 in Abidjan (Côte d’Ivoire) sollte dazu genützt werden um diese Leitbilder zu definieren und in der Praxis umzusetzen. Kernthema des Gipfels werden Investitionen in die Jugend sein, da dies sowohl für Europa als auch für Afrika zu einer der wichtigsten Prioritäten geworden ist. Die jungen Afrikaner kommen, um in Europa zu arbeiten. Die Frage ist, ob sie Fähigkeiten mitbringen, die Europa dringend braucht? Eine Zielsetzung wäre daher, die Gelder aus dem EU-Hilfsfonds dafür auszugeben, um jene Fähigkeiten unter potenziellen Migranten zu entwickeln, die in der EU benötigt werden. In Europa werden z.B. dringend Altenpfleger gebraucht, die Ausbildung wäre in Afrika leicht realisierbar. Das wird für Deutschland bislang in Pilotprojekten in Asien oder auf dem Balkan umgesetzt, aber leider nicht in Afrika (Clemens 2013). Im Mai 2017 hat die Europäische Kommission die Schaffung einer EU-Fazilität für berufliche Aus- und Weiterbildung mit dem Ziel, die Arbeitsmarktrelevanz der beruflichen Aus- und Weiterbildung zu verbessern und die Inklusion benachteiligter Gruppen zu fördern, angekündigt. Den Ankündigungen müssen rasch Taten folgen (Europäische Kommission 2017b).

Literatur

Clemens, Michael A. (2013): What do we know about Skilled Migration and Development. Policy Brief 3/9, Migration Policy Institute (MPI), https://www.migrationpolicy.org/research/what-do-we-know-about-skilled-migration-and-development (14/10/17).

Czempiel, Ernst-Otto (2002): Weltpolitik im Umbruch. Die Pax Americana, der Terrorismus und die Zukunft der internationalen Beziehungen, München.

Dialer, Doris (2007): Die EU-Entwicklungspolitik im Brennpunkt. Eine Analyse der politischen Dimension des Cotonou-Abkommens, Frankfurt.

Europäische Kommission (Factsheet) (2017a): EU-Kommission legt Bericht über Fortschritte im Rahmen des Migrationspartnerschaftsrahmens und verstärkte Maßnahmen entlang der zentralen Mittelmeerroute vor, http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-17-369_de.html (15/10/17).

Europäische Kommission (Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik) (2017b): Gemeinsame Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat. Neue Impulse für die Partnerschaft Afrika-EU, JOIN(2017)17final, Brüssel, 4.5.2017.

Europäische Kommission (Pressemitteilung) (2017c): Lage der Union 2017 – Kommission präsentiert nächste Schritte hin zu einer entschlosseneren, wirksameren und gerechteren Migrations- und Asylpolitik der EU, http://europa.eu/rapid/press-release_IP-17-3406_de.html (27/09/17).

United Nations (Economic & Social Affairs) (2016): International Migration Report 2016, http://www.un.org/en/development/desa/population/migration/publications/migrationreport/docs/MigrationReport2015.pdf (25/09/17).

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