Unsere Werte – eine Debatte im Spannungsfeld von Rechtsgrundsätzen, Kultur und Tradition. Eine Annäherung von Seiten der politischen Bildung.

Wird über Werte diskutiert, so verbinden sich viele verschiedene Vorstellungen in diesem Begriff: Von moralisch-ethischen Grundprinzipien  über kulturelle Gemeinsamkeiten oder Grundlagen für das Zusammenleben in einem Staat. Nicht zuletzt deshalb wird das Wertethema auch in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen behandelt, wie beispielsweise in der Philosophie, in der Politikwissenschaft, in der Theologie, in der Medizin, in den Wirtschaftswissenschaften. Eines ist allen Interpretationen und Auslegungen gemeinsam: Werte sind identitätsstiftend und gemeinsame Wertvorstellungen sind Basis von Gemeinschaften. „Werte sind Zielvorstellungen, die unser praktisches Handeln beeinflussen. Sie haben eine gewisse Stabilität, können sich aber im Verlauf eines Lebens ändern. Sie sind für das Zusammenleben von Menschen von großer Bedeutung (…) In einer demokratisch organisierten Gesellschaft wird es immer einen Wertepluralismus geben. Dieser Pluralismus macht geradezu das Wesen der Demokratie aus“ (Schiele 2013: 1).
 
Durch die aktuellen Herausforderungen in der Migrations-, Integrations- und Flüchtlingsthematik hat das Wertethema eine neue Aktualität gewonnen und wird mit Fragestellungen versehen, wie: Gibt es eine europäische Leitkultur oder einen europäischen Wertekanon? Und wenn ja, welche gemeinsamen Werte machen uns Europäer aus?
 
Was „europäische Werte“ betrifft, so wird deren Ursprung häufig in der Aufklärung, dem römischen Recht, der griechischen Philosophie, aber auch dem Christentum oder den Maximen der französischen Revolution verortet. Für eine Diskussion aus Sicht der politischen Bildung, sind vor allem auch jene Werte von besonderer Relevanz, die in Gesetzesform festgeschrieben sind.
 
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Die demokratischen Grundwerte der Republik Österreich als Mitglied der Europäischen Union

Die Grundwerte der österreichischen Demokratie sind in der Verfassung festgehalten. Gewisse Grund- und Freiheitsrechte wurden aus der Monarchie übernommen und durch die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (1950 vom Europarat in Rom unterzeichnet) und der Grundrechtecharta der Europäischen Union (wurde 2000 unterzeichnet) ergänzt. Die Einhaltung dieser Grundrechte verpflichten sich alle Mitglieder der Europäischen Union im Vertrag über die Europäische Union (Lissabonner Vertrag) und sind somit auch für die Österreicherinnen und Österreicher als Wertebasis heranzuziehen.

Im Artikel 2 des EU-Vertrages wird wie folgt festgelegt:

„Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die

Achtung der Menschenwürde,

  • Freiheit,
  • Demokratie,
  • Gleichheit,
  • Rechtsstaatlichkeit und die
  • Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören.

Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch

  • Pluralismus,
  • Nichtdiskriminierung,
  • Toleranz,
  • Gerechtigkeit,
  • Solidarität und die
  • Gleichheit von Frauen und Männern

auszeichnet.“ (Bundeszentrale für politische Bildung 2010: 1)

Und weiter heißt es im Artikel 3: „Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern“ (Bundeszentrale für politische Bildung 2010: 2)

Ein weiteres Werte-Element im EU-Vertrag ist die Grundrechte-Charta, die bereits im Jahr 2000 unterzeichnet wurde und durch den Lissabonner Vertrag zum Teil des Primärrechts der EU wurde. Sie definiert folgende Grundrechte und –freiheiten:

  • Würde des Menschen
  • Freiheiten (z.B. Recht auf Freiheit und Sicherheit, Achtung des Privat- und Familienlebens, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, Recht auf Bildung, Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit,…)
  • Gleichheit (z.B. Gleichheit vor dem Gesetz, Nichtdiskriminierung, Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen, Gleichheit von Männern und Frauen, Rechte des Kindes,…)
  • Solidarität (z.B. Gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen, Verbot der Kinderarbeit und Schutz der Jugendlichen am Arbeitsplatz, Soziale Sicherheit und soziale Unterstützung, Umweltschutz, Verbraucherschutz, Gesundheitsschutz,…)
  • Bürgerrechte (z.B. Aktives und passives Wahlrecht bei Wahlen zum Europäischen Parlament und bei Kommunalwahlen, Recht auf Zugang zu Dokumenten, Freizügigkeit und Aufenthaltsrecht,…)
  •  Justizielle Rechte (z.B. Unschuldsvermutung und Verteidigungsrechte, Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen,…

(vgl. Charta der Grundrechte der Europäischen Union 2000)

Die Grundrechte-Charta zeigt die gemeinsame Wertebasis der EU auf und auch wenn sie nur für die Institutionen der Europäischen Union bindend ist, so verdeutlicht sie, dass die EU über eine gemeinsame Wirtschaftspolitik hinausgeht oder wie Angela Merkel bei einem EU-Gipfeltreffen im Sommer 2017 formulierte „Wir sind eine Wertegemeinschaft“ (Merkel 2017: 1) und die EU sei kein „Supermarkt“, bei der man sich nur Teile aussucht, die man gerade möchte.

In diesem Zusammenhang spielt die Rechtsstaatlichkeit eine wichtige Rolle, damit ist gemeint, dass in einem Staat, die Verfassung und Gesetze eingehalten werden und auch die Rechte der BürgerInnen geschützt sind bzw. dass unabhängige Gerichte für die Einhaltung der Gesetze sorgen und Recht sprechen. In einem Rechtsstaat können sich die BürgerInnen darauf verlassen, dass unabhängige Gerichte Urteile fällen, die eingehalten werden (vgl. Politik Lexikon für junge Leute 2008: 202).

In diesem Zusammenhang befindet sich die EU derzeit am Prüfstein: Die Weigerung mancher Mitgliedstaaten, die von der EU vereinbarte Anzahl von Flüchtlingen aufzunehmen, führte zu einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes, der eine Klage gegen diese Vereinbarung von Seiten Ungarns und der Slowakei abwies. Nun ist die Frage, wie die EU dieses Urteil durchsetzt, fehlt ihr doch eine gemeinsame Exekutive (Polizei). Die Entwicklungen in diesem Fall werden große Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit und Durchsetzungsfähigkeit der gesamten Europäischen Union haben. Die EU ist darauf angewiesen, dass die Mitgliedsstaaten die vereinbarten Regeln in ihren Ländern umsetzen, ansonsten hätte sie ein Legitimationsproblem, da sie die Gesetze und Verordnungen nicht mehr durchsetzen könnte, und somit die Rechtsstaatlichkeit nicht mehr gegeben wäre.

Der Artikel 2 des Vertrages mit den gemeinsamen Wertegrundlagen und die Grundrechte-Charta sind die Basis unseres Rechtsstaates, die jedem/r ÖsterreicherIn vertraut sein sollten. Diskussionen über Normen im gesellschaftlichen Zusammenleben müssen/können anhand dieser Basis geführt werden.

Gerade politischer Bildung kommt in der Vermittlung dieser demokratischen Werte eine zentrale Bedeutung zu. Wobei hier darauf hinzuweisen ist, dass in der politischen Bildung der Grundsatz des „Überwältigungsverbots“ gilt (vereinbart im sogenannten Beutelsbacher Konsens von 1978), dieses fordert eine „ergebnisoffene, indoktrinationsfreie politische Diskussion im Unterricht“ (Ammerer 2016: 19). Es darf niemand zur Übernahme von Meinungen und Haltungen gezwungen oder gedrängt werden, vielmehr ist es Unterrichtsziel, demokratische Spielregeln methodisch einzuüben und durch kritischer Auseinandersetzung und Reflexion zu einer eigenen Urteilsbildung zu gelangen.

Werte als Basis demokratischen Handelns

Eine repräsentative Umfrage der Europäischen Union zeigt, welche Werte für die Menschen in der EU am bedeutendsten sind:

Quelle: Europäische Union 2016: S. 152

„Frieden“, „Menschenrechte“, und der „Respekt gegenüber menschlichem Leben“ sind im EU-Schnitt die am als wichtigsten angegebenen Werte. Die „Freiheit des Einzelnen“ hat bei den Österreicherinnen und Österreichern im europäischen Vergleich gesehen außerordentlich hohe Bedeutung und nimmt den zweiten Platz ein. „Friede“ erfährt einen Bedeutungszugewinn und wurde im Jahr 2010 nur mit 44 % (EU-Durchschnitt) (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2012) bewertet. Menschenrechte und der Respekt gegenüber menschlichem Leben gehören demnach ebenso zur zentralen Wertebasis in Europa.

Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte werden wahrscheinlich die wenigstens im Detail kennen, und viele der in der Umfrage genannten Werte sind Teile der Menschenrechte (wie z.B. Gleichheit, Solidarität, Freiheit) aber die Kernbotschaft der Menschenrechte, die Bewahrung der Würde jedes Menschen, scheint ein tiefes Bedürfnis und zentraler Wert in unserer Gesellschaft zu sein (Artikel 1: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen“ http://www.unric.org/de/menschenrechte/16).

Die Menschenwürde als Bezugspunkt in der Auseinandersetzung mit demokratischen Werten heranzuziehen, dafür plädiert auch der Rechtsphilosoph Christian Stadler. Er rät davon ab, in der Wertediskussion den Kulturbegriff zu stark zu strapazieren: „Man sollte daher nicht von allgemeinen Kulturwerten sprechen, sonst sind wir sehr schnell wieder bei Mozart oder dem „Musikantenstadl“ (Stadler 2017). Er geht davon aus, dass es rechtskulturelle Voraussetzungen bedarf für das Funktionieren einer liberalen Verfassung, diese Rechtskulturwerte sind zu identifizieren und heranzuziehen. Er plädiert für eine systematische Anwendung der demokratischen Grundrechte in folgender Reihenfolge (Stadler 2017):

Die Sicherstellung der a) Menschenwürde ist ein zentrales Ziel in einem liberalen Verfassungsstaat.  Um diese Menschenwürde zu gewährleisten, braucht es einen b) Rechtsstaat, der für Legalität sorgt.

Um zu verhindern, dass z.B. Einzelne ihre „Regeln“ über den Rechtsstaat durchsetzen können, die möglicherweise die Menschenwürde anderer verletzen, braucht es c) Demokratie, die gewährleistet, dass Regeln, Normen und Gesetze vom Volk (mit)bestimmt sind.

Voraussetzung für die Demokratie ist d) die Republik. „In der politischen Philosophie bedeutet Republik „Res publica“ – Gemeinwesen, um das wir uns solidarisch bemühen sollen“ (Stadler 2017). Demokratie alleine bedeutet, eine Mehrheitsentscheidung abzufragen. Für Stadler ist der zentrale Moment, wenn es um Werte geht, die  e) Qualität mit der diese Mehrheitsentscheidungen getroffen werden. „In welchem Geist und nach welchem Diskurs hat sie sich gebildet? Das ist unser Rahmen für Integration.“ (Stadler 2017)

In welcher „Qualität“ und mit welchem „Geist“ wir diese Aushandlungsprozesse und Diskussionen führen ist demnach auch ein Zeichen für die Qualität unserer Demokratie. Hier kann politische Bildung einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung der Gesellschaft leisten.

Die Perspektive ist jedenfalls verlockend, denn sie kann uns zu einer „Einheit in der Verschiedenheit“ (wie Papst Franziskus es für die Christenheit formulierte) führen oder wie Christian Stadler festhält: „Wenn wir uns des Grundkonsenses in den rechtskulturellen Basics sicher sind, wenn es auf dieser grundlegenden Ebene keine Verunsicherung gibt, dann haben wir auch die Stärke, im lebenskulturellen Bereich Vielfalt stressfrei zuzulassen.“ (Stadler 2017).

Literatur

Ammerer, Heinrich (2016): Zum demokratiebildenden Umgang mit Werten, Normen und Gesetzen in jungen Lernaltern,  in: Gesetze, Regeln, Werte. Informationen zur Politischen Bildung, Nr. 39, S. 16-25.

Bundeszentrale für politische Bildung (2010): Die Werte der Europäischen Union, http://www.bpb.de/internationales/europa/europaeische-union/42851/grafik-werte-der-eu (29.8.2017)

Bundeszentrale für politische Bildung (2012): Persönliche Werte, http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/europa/70649/persoenliche-werte (29.8.2017)

Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2000): Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (2000/C 364/08), http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf (30.8.2017)

Europäische Union 2016: Standard Eurobarometer 86, Tabellenanhang, S. 152, http://ec.europa.eu/commfrontoffice/publicopinion/index.cfm/Survey/getSurveyDetail/instruments/STANDARD/yearFrom/2016/yearTo/2017/surveyKy/2137 (24.9.2017)

Merkel, Angela (2017): Europa ist eine Wertegemeinschaft, in: Wiener Zeitung, 23.6.2017, S. 1

Politik Lexikon für Junge Leute (2008), Wien,  www.politik-lexikon.at (25.8.2017)

Schiele, Siegfried (2013): Gibt es noch Werte? in: Aus Politik und Zeitgeschichte, S. 1-2

Stadler, Christian (2017): Die Wertedebatte ist Ausdruck einer Verunsicherung, in: derstandard.at, http://derstandard.at/2000057080004/Rechtsphilosoph-Stadler-Wertedebatte-ist-Ausdruck-einer-Verunsicherung (20.7.2017)

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